Gewalt gegen Kinder nimmt zu
"Mit größter Besorgnis nehmen wir die Zahlen der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik zum Thema Kindesmissbrauch wahr", sagt der Chef des Delmenhorster Kinderschutzbundes, Uwe Dähne
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, und Johannes-Wilhelm Rörig, Bundesbeauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, stellten kürzlich die Zahlen kindlicher Gewaltopfer aus der Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 vor. Darauf bezieht sich Uwe Dähne vom Delmenhorster Kinderschutzbund.
„Mit größter Besorgnis nehmen wir die Zahlen der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik zum Thema Kindesmissbrauch wahr“, sagt Uwe Dähne. Der Delmenhorster Ratsherr (Bündnis 90/Die Grünen) ist auch Ortsverbandsvorsitzender des Deutschen Kinderschutzbundes in der Stadt. Dähne bezieht sich auf Aussagen des Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch. Bremens einstiger Polizeipräsident hatte zusammen mit Johannes-Wilhelm Rörig, der als unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs arbeitet, konkrete Zahlen aus dem vergangenen Jahr vorgelegt. Die Bilanz betrifft also das erste Corona-Jahr, 2020. Beide nahmen damit Stellung, wie viele Kinder geschlagen, getötet, misshandelt oder sexuell missbraucht wurden.
Geschlossene Schulen, Kitas, Jugendzentren und Sportvereine – „seit dem ersten Corona-Lockdown warnen Mediziner und Kinderschützer, dass Kinder und Jugendliche aus dem Blickfeld geraten und daher die Dunkelziffer nicht registrierter Straftaten gegen Kinder steil ansteigt“, sagt Uwe Dähne. Und das, obwohl viele von ihnen vor Gewalt und sexuellem Missbrauch geschützt werden müssen.
Wenn jetzt Kinder und Jugendliche nicht in der Schule sind, dann fällt das sogenannte Hellfeld weg, warnt Dähne. Es falle niemandem mehr auf, wenn es vielleicht einen Kinderschutzfall gibt, weil die Kinder im häuslichen Umfeld sind. Das mache es schwieriger. Es sei davon auszugehen, dass sich viel im Dunkelfeld abspielt. „Was nicht im Dunkeln bleibt, sondern als Straftat registriert wird, wird jährlich in der Polizeilichen Kriminalstatistik registriert und diese Zahlen allein sind schon schockierend“, sagt der Delmenhorster Ortsverbandschef des Kinderschutzbundes. Nach ersten Auswertungen der Statistik könne gesichert festgestellt werden, dass es deutlich mehr
Misshandlungen gibt. „Es gibt sogar mehr getötete Kinder – da sind die schlimmsten Befürchtungen eingetreten“, so Dähne.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, bestätigte auf eine Nachfrage des Kinderschutzbundes, einen drastischen Anstieg der sexuellen Gewalttaten gegen Kinder. Die Anzahl sei von einem hohen Niveau im Jahr 2019 jetzt noch einmal um 1000 auf insgesamt 16.000 gestiegen.
93 Prozent der Fälle werden aufgeklärt
Es mache auch fassungslos, dass immer mehr kinderpornografisches Material verkauft, hergestellt und im Netz verbreitet werd. Da gibt es Steigerungen um 50 Prozent. Im Rahmen der Veröffentlichung ihrer Kriminalitätsstatistik im März wies auch die Inspektion Delmenhorst auf diesen Tatbestand hin. Den Bereich Kinderpornographie nehme die Polizei in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus. Für das Jahr 2020 habe die Anzahl an auszuwertenden Datenmengen deutlich zugenommen. Für den Berichtszeitraum wurde auch ein Anstieg der
Fallzahlen festgestellt. Das für die Bearbeitung dieses sensiblen Deliktfeldes zuständige Kommissariat wurde nach Polizeiangaben personell verstärkt. „Die Ermittlungsverfahren werden äußerst akribisch und von besonders geschulten Polizeibeamten bearbeitet, sodass mit 93 Prozent ein Großteil der Fälle aufgeklärt werden konnte“, so eine Polizeisprecherin. Kinder vor Sexualtätern zu schützen habe nach wie vor höchste Priorität.
Unterstützungssysteme gefördert
„Der Kinderschutzbund setzt sich bundesweit und auch hier vor Ort dafür ein, dass Kinder und Jugendliche ohne Gewalt aufwachsen und ihr Recht auf eine gewaltfreie Erziehung konsequent umgesetzt wird“, sagt Dähne. „Wir fordern daher, entsprechende Unterstützungssysteme – wie der Kinderschutzbund sie anbietet – noch stärker zu fördern, entsprechende Netzwerke auf- und auszubauen und Straftaten wegen Kindesmissbrauch konsequent zu verfolgen“, sagt Dähne.
Der Kinderschutzbund setze sich präventiv und situativ nach den „Prinzipien helfenden Handelns“ für das Kindeswohl und gegen Kindesmissbrauch ein. „Dabei müssen bei Gewalt gegen Kinder nicht nur der familiären Zusammenhang, sondern auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden“, sagt Dähne. Um frühzeitig auf die Abwendung von Gefährdungssituationen für Kinder hinzuwirken, sei es wichtig frühzeitige Unterstützung für Familien anzubieten, bevor sie in Krisen und Probleme geraten. Es müssten Informationen über strukturelle Gewalt im Lebens- und Wohnumfeld von Kindern gegeben werden. Außerdem soll die Einstellung von Eltern, vertrauten Personen sowie Einrichtungen für Kinder und Familien positiv und motivierend verstärkt werden, um das Kindeswohl zu gewährleisten.